aus DIE KIRCHE 27, 8.7.2001
Luther und Antoinette
in Erfurt
Was passiert, wenn Luther, der Querdenker und Radikale, und moderne
Kunst einander begegnen? Wie sieht die Auseinandersetzung aus
und was ergibt sie, welchen Gewinn können Kunst und Kirche,
Betrachter und Künstler daraus ziehen?
"VonWegen Luther" - unter diesem provozierenden Arbeitstitel
hatte der Evangelische Kunstdienst Erfurt e.V. im Herbst 2000
ein Projekt ausgeschrieben, das sich in das Erfurter Lutherjahr
2001 "Wege zu Luther" einfügen und diese Fragen
aufwerfen sollte.
Am Ende des verschlungenen Vorbereitungsweges steht nun die am
8.5. eröffnete Ausstellung der Berliner Malerin Antoinette,
die noch bis zum 8.7. in der Erfurter Andreaskirche zu sehen
ist. Vier großflächige, farbkräftige Acrylgemälde
und ein Zyklus von Lithographien zum Hohelied Salomos stehen
in reizvoller Spannung und zugleich rätselhafter Harmonie
mit dem barock verfremdeten gotischen Kirchenraum. Besonders
das Triptychon zur antiken Europa-Sage, angebracht an der Empore
gegenüber dem Altar, mit diesem Auge in Auge, prägt
den Raumeindruck auf irritierende Weise, indem es einerseits
die Grautöne seiner Umgebung nachahmend glossiert und andererseits
einen kernigen Wettstreit mit den heiligen Figuren des Altars
und der "Luthertafel", dem Modell der Grabplatte Luthers,
anfängt. Eine Antoinette in leuchtend rotem Kleid hat unter
der Empore den Platz eines Amtsvorgängers der heutigen Andreas-Pfarrerin
und stellvertretenden Kunstdienst-Vorsitzenden, Ruth-Elisabeth
Schlemmer, eingenommen und begrüßt den Eintretenden
mit fragendem Blick und zeigender Geste, abweisend und bergend
zugleich, wach und in der Spiegelwelt träumend.
Dass Bilder heute wieder breit und laut erzählen dürfen,
nachdem lange Zeit nur der gewisperten Metapher und verschlüsselter
Symbolik Gültigkeit zugemessen wurde, dass Malerei wieder
zeigen und berichten und fabulieren darf, vermerkte und begrüßte
der Galerist Jörk Rothamel beim Künstlergespräch
mit Antoinette am 1. Juni im Café Paul. Ein hochlebendiges
Gespräch, mit dem die Beteiligten von den künstlerischen
schnell auch zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen und sogar
in die Tiefen theologischer Themen vordrangen. Der Bogen spannte
sich von der alten Legende der Königstochter Europa bis
zur politischen Vereinigung des nach ihr benannten Erdteils am
Anfang des dritten Jahrtausends und von der Frage nach dem heutigen
Blickwinkel der Kirche auf Sinnlichkeit und Körperlichkeit
zurück zur Erschaffung Evas aus Adams Rippe. Dies alles
in der Atmosphäre eines vielleicht nicht selbstverständlichen
Übereinkommens: dass nämlich Kunst und Kirche einander
zu ergänzen haben, weil auch Kunst - im besten Sinne prophetisch
- über das Nenn- und Erkennbare hinaus in den Bereich des
Religiösen hineinweist. Künstlerin und Teilnehmer dankten
einander für die Impulse aus diesem Zusammentreffen.
Und was haben nun Luther und "vonWegen Luther" miteinander
zu tun? Es sind keine Auftragswerke, die Antoinette zeigt, keine
dekorativen Illustrationen eines vorgeschriebenen Anliegens.
Es ist das Unkonventionelle und Ursprüngliche, die Kühnheit
und Einfachheit von Gedanken und Sprache, das Visionäre
und Bodenständige im Denken Luthers, das seither unser Bewusstsein
prägt und auch in Antoinettes Werk eine Bündelung und
Widerspiegelung erfährt. Eine zeitgemäße. So
modern ist lutherisches Denken.
Stefan Börner |